Wohin mit Blumenbachs Erbe? – Verhandlungen zum Göttinger Umgang mit dem “Vater der Anthropologie”

Wir haben eine Debatte über den Umgang mit Blumenbachs Erbe in Göttingen angestoßen und haben die Podiumsdiskussion “Wohin mit Blumenbachs Erbe? – Verhandlungen zum Göttinger Umgang mit dem ‘Vater der Anthropologie'” organisiert.Auf dem Podium saßen Malin Wilckens (Historikerin), Sven Bradler und Christoph Bleidorn (Blumenbach-Insitut für Zoologie und Anthropologie), Thiago Pinto Barbosa (Kulturanthropologe), Gerhard Lauer (Blumenbach Online), Tahir Della (Initiative Schwarze Deutsche). Moderiert wurde die Veranstaltung von Johanna Strunge (Forschungskolleg „Wissen | Ausstellen”). Anschließend an die Diskussion gab es eine Fragerunde. Im Jahr 2005 wurde in Göttingen das Zoologische Institut nach Johann Friedrich Blumenbach benannt. Letztes Jahr wurde im Zuge der BLM Proteste die Büste Blumenbachs der Universität umgestürzt. Wir, die Basisgruppe Umweltwissenschaften, haben gefordert, den Institutsnamen zu streichen, denn Blumenbachs Werk diente als wissenschaftliche Legitimation für rassistische Ideologien, die noch heute wirken. Gleichzeitig verteidigen ihn andere als den ersten “wissenschaftlichen Antirassisten”, da er sich für einen gemeinsamen Ursprung aller Menschen ausgesprochen hat, und schätzen ihn aufgrund seiner Beträge zur Wissenschaft. Was steht hinter den gegensätzlichen Bewertungen?

Blumenbachs Symbolrolle in der Rasseforschung muss in Göttingen aufgearbeitet werden (PM August 2020)

Seit Juli gibt es in Göttingen eine Debatte um den Umgang mit dem Biologen Johann Friedrich Blumenbach (1) nach dem das zoologische Institut an unserer Universität benannt ist. Als Antwort auf unsere Kritik am Namen des Instituts haben (akademische, weiße) Vertreter*innen der Akademie der Wissenschaften und Geschichtswissenschaftler Peter Aufgebauer mehrfach Blumenbachs Ikonisierung verteidigt, unter anderem durch die Argumentation er sei der “Begründer des wissenschaftlichen Antirassismus”. Wir als Basisgruppe Umweltwissenschaften finden diese Bezeichnung und den Umgang mit unserer Kritik enttäuschend und problematisch. Wir möchten dabei betonen, dass wir mehrheitlich weiß sind und diesen Text aus einer weißen Perspektive schreiben, für Kritik und Anmerkungen sind wir offen. 
 
Mitarbeitende von Blumenbach-Online (ein Projekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen) haben mehrfach öffentlich die Verwendung Blumenbachs Namens in der Biologie verteidigt und ihn als “Begründer des wissenschaftlichen Antirassimus” bezeichnet. Obwohl diese Aussage kein wissenschaftlicher Konsens ist, haben sie diese Meinung, die auf ihrer eigenen Interpretation basiert, mehrfach in der Öffentlichkeit, u.a. im Göttinger Tageblatt und blumenbachs Wikipedia Artikel geäußert. Prof. Gerhard Lauer, Leiter des Projekts, sprach sich in einem Interview mit dem GT auch gegen eine Demontage des Göttinger Kolonialkrieg-Denkmals aus. Die Argumentation Lauers und seines Mitarbeiters Heiko Weber auf Wikipedia lassen nicht auf eine rassismuskritische Ausrichtung des Projekts schließen. 
 
JFB war vergleichsweise humanistisch für sein Zeitalter und betonte sehr früh den gemeinsamen Ursprung aller Menschen. Trotzdem teilte er die Menschheit nach äußerlichen Merkmalen in Gruppen ein und bewertete auch deren Ästhetik nach seinem verzerrten Weltbild. Blumenbach prägte den Begriff “kaukasisch”, der bis heute trotz/wegen seiner rassistischen Bedeutung verwendet wird. Er war einer der ersten Wissenschaftler, die Rassentheorien öffentlichkeitswirksam “wissenschaftlich” aufstellten. Seine biologistischen Konzepte wurden (und werden) genutzt, um weiße Einheitlichkeit, Überlegenheit und rassistische und kolonialistische Gewalt zu begründen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Idee, Blumenbach “Kränze zu flechten”, wie Lauer uns im GT rät, mehr als absurd. Auch wenn Blumenbach “progressive Meinungen” geäußert hat, lässt sich sein Symbolcharakter für das Konstrukt von menschlichen Rassen nicht ausblenden.
 
JFB ist als Gründungsmitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen für die heutigen Mitglieder sicherlich von Bedeutung. Eine Person mit einem Symbolcharakter für wissenschaftlichen Rassismus jedoch öffentlich zu ikonisieren und sogar als Antirassist zu bezeichnen zeigt eine völlig falsche Auffassung von Rassimus/Antirassismus. Einen Mensch, der Rassentheorien aufgestellt hat, dessen rassistische Terminologie bis heute verwendet wird, als Antirassisten zu bezeichnen ist anmaßend. Die Vehemenz mit dem ihm ein Platz im öffentlichen Raum immer wieder eingeräumt wird und seine (biologistischen) Rassismen als “Zeitgeist” abgetan werden, lesen wir als Unwilligkeit, sich mit den eigenen Privilegien und Rassismen zu befassen. 
 
Für uns geht der Name des Instituts eben auch einher mit Rassismen, die von Blumenbach geprägt wurden. Das Symbol, dass die biologische Fakultät, die Akademie der Wissenschaften und die Georgia-Augusta mit dem Blumenbach-Institut aussenden, möchten wir als Studierende der Fakultät und Universität nicht mittragen. Wir fordern eine Umbenennung und eine rassismuskritische Arbeit/Aufarbeitung. 
 
 
 

The Surprisingly Racist History of “Caucasian”

Franchesca Ramsey umreißt in diesem Video das Nachwirken Blumenbachs im anglophonen Kontext. JFBs Dissertation “de generis humani varietate nativa(1775, an der Georgia-Augusta) wurde im 18. Jahrhundert in Europa äußerst positiv beachtet und verpasste ihm den bis heute kaum hinterfragten Status als “Gründervater der Anthropologie”. Die Daten für diese Dissertation erhob er anhand Schädel (unekannter Herkunft), die er vermaß. Dieses höchst unwissenschaftliche Feld, genannt Craniologie, ist ein Sammelbecken pseudowissenschaftlichen, iologistischen Rassismus.

Das Unwissen um Kolonialgeschichte

Die Kolonialverbrechen fehlen in der deutschen Geschichtskultur. Weder in der Schulbildung noch in der öffentlichen Geschichts- und Gedenkkultur findet ein Auseinandersetzung statt.
In kaum einem Diskurs kommen die Nachfahren kolonialisierter, unterdrückter und versklavter Menschen zu Wort.

Die dreiteilige Dokumentation ‘Entkolonialisierung’ von Arte erzählt diese Geschichten: Die Geschichten von Widerstand; die Geschichte der Entwürdigung von Menschen und der Rückgewinnung von Würde; die Geschichten vom Raub von Identität, Wissen, Selbstbestimmung.

Im ersten Teil geht es auch um die Pseudowissenschaft “Craniologie – Lasst uns Schädel vermessen, Daten fälschen und damit die Überlegenheit der weissen begründen!” – und wieder um den Widerstand.

Kostenlos verfügbar unter:
https://www.arte.tv/de/videos/RC-018466/die-entkolonialisierung/

Die Jenaer Erklärung – ein Beispiel von Aufarbeitung der Rasseforschung an Universtitäten

Ernst Haeckel wird als einer der bedeutendsten Biologen in Deutschland gefeiert. Er begründete

Ernst Haeckel mit Farbe beschmiert.

Ernst Haeckel hat rassistische Forschung getrieben und wird heute noch für seine Beiträge zur wissenschaft verehrt. Die Jenaer Erklärung hat einen Zeichen gegen diese Verehrung gesetzt.

Ökologie-Konzepte und setzte die Evolutionstheorie in Deutschland durch. Sein Darwinismus machte bei Menschen nicht Halt: er konstruierte sogenannte Menschenrassen und hierarchisierte diese. Die weißen Menschen setzte er nach oben, Schwarze Menschen entwertete er als minderwertig.
Sein Wirkungsort war Jena. Die Universität hat mit einer Aufarbeitung dieser Person begonnen und damit aufgehört, sein menschenverachtende Forschung zu ignorieren und durch wissenschaftliche Leistungen zu relativieren

In diesem Rahmen entstand die Jenaer Erklärung. Sie ist ein Beispiel, wie im universitären Rahmen rassistische Forschung aufgearbeitet werden kann.

Link zur Jenaer Erklärung:
https://www.uni-jena.de/unijenamedia/universit%C3%A4t/abteilung+hochschulkommunikation/presse/jenaer+erkl%C3%A4rung/jenaer_erklaerung.pdf

 

Stellungnahme der Basisgruppe Umweltwissenschaften zu Sturz und Entfernung der Büsten von Haeckel und Blumenbach im zoologischen Institut.

Im Zuge der weltweiten Proteste gegen rassistische (Polizei-)Gewalt nach den jüngsten Morden in den USA wird nicht nur ein Ende aktueller rassistischer Gewalt gefordert, sondern auch die umfassende Aufarbeitung kolonialer und rassistischer Geschichte.
 
Als Symbole dieser Vergangenheit und der fehlenden Aufarbeitung wurden zahlreiche Statuen umgestürzt, die zu Ehren von Kolonialverbrecher*innen, Sklavenhändler*innen und weiteren Köpfen oder Händen des Rassismus aufgestellt wurden. Auch an der Universität Göttingen sind in der vergangenen Woche zwei Büsten umgestürzt und vom Institut nachträglich unkommentiert entfernt worden. Hierbei handelte es sich um die von Ernst Haeckel und von Johann Friedrich Blumenbach.
 
Haeckel war einer der einflussreichsten Forscher des 19. Jahrhunderts, bekannt als der wichtigste Vertreter der Evolutionstheorie im deutschen Sprachraum. Zeitgleich förderte er auch rassistische, eugenische und sozialdarwinistische Ideen auf akademischer und politischer Ebene. Seine rassistische Abwertung von Menschen im akademischen Kontext haben eine vermeintlich biologisch-wissenschaftliche Rechtfertigung von Kolonialverbrechen und Genoziden erschaffen. Auf seine menschenverachtende und wissenschaftlich falsche Arbeit wurde sich unter anderem in der NS-Zeit berufen (1).
 
Johann Friedrich Blumenbach gilt als einer der “Väter der Anthropologie” im deutschsprachigen Raum. Obwohl Blumenbach für seine Zeit vergleichsweise humanistisch argumentierte, war er einer der ersten Wissenschaftler*innen, die Menschen anhand von Schädelformen in unterschiedliche “Varietäten” einteilten. Diese “Varietäten” entsprechen sozialen Konstrukten. Als einer der ersten Rassentheoretiker hat Blumenbach die Grundlagen für einen Zweig der Anthropologie geschaffen, der die jahrelange Ausbeutung und Unterdrückung nicht-weißer Menschen “wissenschaftlich” rechtfertigte. Dieser Zweig, die sogenannte “Rassenforschung”, ist für heutigen systemischen Rassismus mitverantwortlich und hat immer noch Überbleibsel in der Wissenschaft (z.B. in Form von IQ-Forschung). An unserer Universität hat Blumenbach seine Dissertation geschrieben, in der er morphologische mit physiologischen Merkmalen verknüpfte und ästhetisch bewertete (2). Weiterhin hat er in Göttingen eine anthropologische Sammlung angeschafft mit einer Vielzahl von menschlichen Schädeln, deren Herkunft noch in den kommenden Jahren geklärt werden soll (3).
 
Es ist ein Anfang die Büsten von Haeckel und Blumenbach zu entfernen, Rassismus lässt sich aber nicht einfach stumm in eine Hinterkammer verräumen. Durch das Benennen von Instituten nach Rassisten bietet die Fakultät für Biologie und Psychologie Raum zu unhinterfragter Ikonisierung. Rassismus muss aktiv bekämpft werden und die Jenaer Erklärung hat uns gezeigt, wie ein Ansatz seitens der Wissenschaft aussehen kann. Wir fordern auch in Göttingen mehr als ein stummes Unter-den-Teppich-kehren, wir fordern eine Umbenennung des Johann-Friedrich-Blumenbach Instituts und eine aktive Aufarbeitung der Verantwortung der Biologie, Anthropologie und Psychologie bei menschenfeindlichen Narrativen!
 
 
(1) Hoßfeld, U. (2012). Biologie und Politik: die Herkunft des Menschen. Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen.
(2) Bhopal R. (2007). The beautiful skull and Blumenbach’s errors: the birth of the scientific concept of race. BMJ (Clinical research ed.), 335(7633), 1308–1309. https://doi.org/10.1136/bmj.39413.463958.80